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Wolfgang Gillitzer: Editorial Design

Um die Frage nach der richtigen Typografie beantworten zu können, müssen wir zunächst analysieren, wie eine Zeitschrift gelesen wird. Die »Eroberung« der Zeitschrift durch den Leser erfolgt in mehreren Stufen: Erstkontakt, Durchblättern und Überfliegen, Kaufentscheidung, Anlesen und Lesen einzelner Artikel. Die Gewichtung dieser Stufen hängt von der Art des Magazins ab: Muss sich die Zeitschrift in der Masse des Zeitschriftenregals durchsetzen, so kommt dem Titel und den sogenannten Aufmacherthemen eine größere Bedeutung zu, als bei einem typischen Abonnement-Magazin. Auch muss die Frage beantwortet werden, ob die Zielgruppe mehr unterhalten oder informiert werden will.

Aus diesen Vorüberlegungen ergibt sich schon, dass der Gestalter im Idealfall ein Mitglied der Redaktion ist und nicht nur gestelltes Text- und Bildmaterial bestmöglichst in Szene setzt.

Was zeichnet gute Typografie für informierendes Lesen aus?

Durch schnelles, diagonales Überfliegen der Seiten muss es für den Leser möglich sein, sich erste Informationen zu beschaffen, um dann entscheiden zu können, welche Beiträge er anlesen oder welche er sogar ganz lesen will. Neben der Überschrift kommt dabei vor allem dem Vorspann die Rolle zu, erste Informationen zu vermitteln. Fast ebenso wichtig sind die Bildunterschriften, die meist vor dem Fließtext gelesen werden. Es ist hier die redaktionelle Aufgabe, diesen Umstand zu nutzen und nicht nur belanglose Bildbeschreibung zu liefern, sondern durch gezielte Zusatzinformationen zum Weiterlesen anzuregen.

Der Textanfang muss deutlich erkennbar sein (z.B. durch Initialen), um die Leserführung von Überschrift über Vorspann hin zu Textbeginn zu fördern. Das Lesen der meisten Artikel wird bereits nach 20 bis 40 Zeilen abgebrochen. Es sollten also nicht zu spät durch Zwischenüberschriften Erholungspausen gesetzt und Anreize zum Weiterlesen geschaffen werden. Bei Artikeln über mehrere Seiten ist es ratsam, mit großzügiger Gestaltung und weniger Textmengen zu beginnen, um dem Leser den Einstieg zu erleichtern. Dem interessierten Leser kann man dann auf den folgenden Seiten größere Textmengen zumuten. Letzen Endes geht es darum, mit zahlreichen Hilfsmitteln und »Tricks« den Leser vom diagonalen/oberflächlichen Lesen hinzuführen zum linearen Lesen – eine Kugel, die angestoßen wird und dann möglichst lange rollen soll: Jede noch so kleine Unebenheit führt dann leicht zum abrupten Stopp

Die Wahl der Schrift

Es ist allgemein bekannt, dass Antiqua-Schriften (z.B. Times) bei längeren Texten lesefreundlicher sind als Grotesk-Schriften (z.B. Helvetica). Dies liegt weniger an den Serifen, sondern vielmehr daran, dass sich die einzelnen Buchstabenformen bei Antiqua-Schriften besser unterscheiden (z.B. a-o-g). Dass dies so wichtig ist, liegt daran: Der (geübte) Leser liest nicht Buchstabe für Buchstabe, sondern erfasst immer kleine Gruppen von Zeichen – ähnlich den Silben. Zu große Gleichheit unter den Buchstabenformen verwässert diese Gruppe: Aus einer Ansammlung von Zeichen wird ein Muster, was die unbewusste Decodierung erschwert.

Doch auch unter den Grotesk-Schriften gibt es sehr gut lesbare, die durchaus für längere Texte hervorragend geeignet sind: Bei dynamischen Grotesk-Schriften, wie Syntax, TheSans, StoneSans oder Myriad ist der so wichtige Unterschied zwischen den Zeichen deutlich ausgeprägt.

Von typografischen Laien wird oft angenommen, Antiqua-Schriften sind altmodisch und konservativ und Grotesk-Schriften moderner. Dies trifft zwar in groben Zügen auf die Entstehungsgeschichte der Schrift zu, kann aber kein Beurteilungskriterium für die Schriften sein, die uns heute zur Verfügung stehen. So ist eine der innovativsten deutschen Zeitschriften, »brandeins«, in der scheinbar verbrauchten Times gesetzt und dennoch modern wie kaum eine andere.

Die Schriftgröße ist für die Lesbarkeit längst nicht so wichtig wie oft angenommen. Schriften in 9 bis 12 Punkt Größe gesetzt sind nahezu gleich gut zu lesen. Wichtiger ist es, dass Zeilenabstand, Laufweite, Satzbreite und Satzart zur Schrift und ihrer Größe – und auch dem eingesetzten Papier – passen. Ein besonders kritischer Moment beim Lesen ist der Zeilenwechsel: Sind die Zeilen lang und der Zeilenabstand eng, findet das Auge nur schwer zum nächsten Zeilenbeginn. Umgekehrt kann eine schmale Satzbreite in Verbindung mit großem Zeilenabstand ebenso den Lesefluss behindern.

Klare Abgrenzung zum Anzeigenteil

Bei der Gestaltung der typografischen Parameter muss man sich darüber im Klaren sein, dass man nicht allein ist in einer Zeitschrift. Es macht keinen Sinn, mit den Anzeigen zu wetteifern um die tollste Inszenierung. Vielmehr ist es die Aufgabe der Zeitschriftentypografie, sich mit einem redaktionellem Gesicht abzugrenzen von der werblichen Typografie. Wer man Ende das Gefühl hat, die Anzeigen haben die Gestaltung des Heftes kaputt gemacht, sollte die Ursachen nicht zuerst bei den Anzeigen sondern in der Gestaltung des redaktionellen Teils suchen. In der Ruhe liegt auch hier oft die Kraft – Ruhe, die nicht mit Langeweile gleichgesetzt werden darf. Als Lösungsansätze seien hier ein klarer Gestaltungsraster und Beschränkung in der Anzahl der Schriftarten und -größen genannt.

Wichtig ist auch die Platzierung der Anzeigen: nicht in der Nähe von Aufmachern, nicht neben redaktionellen Fotos, an den Außenrändern statt innen, unten statt oben. Abgrenzung ist dabei nicht zu verwechseln mit Ablehnung, denn Anzeigen sind nicht nur ein Etatfaktor, sondern beleben auch optisch eine Zeitschrift. Aber dem Leser sollte immer klar sein, wo die Grenzen zwischen Redaktion und Werbung sind.

Der Umgang mit den Bildern

Seit Otl Aicher und Willy Fleckhaus spaltet sich das Heer der Zeitschriftengestalter in zwei Lager: Die einen lehnen jegliches Beschneiden der Bilder kategorisch ab (das Lager Aicher), für die anderen sind Bilder »nur« das Material, mit dem eine Seite so gut wie möglich zu gestalten ist (Lager Fleckhaus).

Nun ist Fleckhaus immer noch die deutsche Galionsfigur der Zeitschriftengestaltung (twen, Frankfurter Allgemeine Magazin), wohingegen allen Zeitschriftenprojekten von Otl Aicher wenig Erfolg beschert war. Absichtlich polarisierend möchte ich die beiden Positionen kurz skizzieren, um aufzuzeigen, worin Erfolg und Misserfolg begründet sind.

Die Erfurcht vor den Bildern und der Zwang des Rasters – Otl Aicher

Aicher lehnte das Beschneiden von Fotos nahezu pauschal ab. Selbst die Positionierung in den Anschnitt war für ihn bedenklich, da sich damit das Spannungsfeld des Bildes in eine Richtung ändert, die vom Fotografen nicht geplant war. Gleichzeitig war es für ihn wichtig, möglichst viele Bilder einer Serie abzubilden, da ja auch die Bildauswahl ein subjektiver Eingriff in die fotografische Arbeit bedeutet. Der Gestaltungsraster als Werkzeug des Corporate Designs wurde von ihm auch selbstverständlich in der Zeitschriftengestaltung eingesetzt. Einerseits also die »Ehrfurcht« vor dem Bild, andererseits musste es sich seinem Raster anpassen. Für mich stand in Otl Aichers Mittelpunkt nicht der Leser, sondern die »gerechte« Behandlung des Fotografen und die Einhaltung der eigenen Gestaltungsregeln. Das Ergebnis waren Produkte, die in ihrer Gestaltungsqualität bestechend waren, aber nicht beachtet und gelesen wurden.

Beherzt gestalten und Geschichten inszenieren – Willy Fleckhaus

»Form follows function« – der Standardsatz für Designqualität ermahnt die Gestalter, keine tropfenden Kaffeekannen zu gestalten. Eigentlich ist es aber nicht nur ein Leitsatz für gutes Design, sondern kann auf fast jegliche produktive Arbeit angewendet werden. Also auch auf die Typografie und die Zeitschriftengestaltung. Fleckhaus kam vom Journalismus und so setzte er sich intensiv mit dem Inhalt auseinander und suchte die richtige Form dazu.

Ein starkes Bild groß abzubilden war ihm wichtiger, als alle Bilder einer Reportage unterzubringen. Fleckhaus hatte durchaus Respekt vor den Fotografen und ihren Werken: Ließ sich aber die Wirkung (nicht nur des Bildes, sondern auch der Doppelseite) steigern, konnte er beherzt beschneiden und aussieben.

Aicher und Fleckhaus: Virtuosen der Lese- und Mikrotypografie waren sie beide nicht. Diese findet man seltsamerweise unter den Zeitschriftengestaltern weniger als unter den Buchtypografen. Sicher: Bücher werden nach dem Lesen ins Regal gestellt, geliebt, verliehen, vererbt. Zeitschriften landen binnen weniger Tage in der Regel im Altpapier. Das sollte aber kein Grund sein, ihnen in der Lesetypografie weniger Engagement zu widmen. Leser, Inhalte, Autoren und der Herausgeber werden es dankend anerkennen.

Wolfgang Gillitzer, 2004